Ich muss euch zu Beginn sagen, dass ich bei einem Buch noch nie so hin und her gerissen war, wie bei diesem. Ich habe mit mehreren Leuten aus meinem Umfeld schon während des Lesens darüber gesprochen und eigentlich auch ein bischen Bauchschmerzen vor dieser Rezension gehabt. Ich habe einige Nächte darüber schlafen müssen, wie ich diese genau angehe, denn „Toxic Man“ ist eine gewallte Ladung von allem, die erstmal verarbeitet werden musste. Ich versuche, für euch meine Gedanken dazu so gut es geht zu umschreiben, wird aber sicherlich eine etwas längere Geschichte. 

Klappentext

Sein Vater stirbt, er heiratet. In Köln eröffnet seine bisher größte Fotoausstellung. Der Erzähler steht vor seinem künstlerischen Durchbruch. Mit seiner Frau bekommt er das erste Kind und wird depressiv. Sein Cousin trinkt sich zum Organversagen, sein bester Freund verschwindet im Meer. Er selbst schlägt seinen Kopf gegen die Wand, bis er ohnmächtig wird. Und dann?
»Toxic Man« erzählt autofiktional davon, dem Terror der Mittelschicht zu entkommen. Sich zu erfinden, zu präsentieren und fast zu vernichten. Die umwerfende Geschichte eines jungen Mannes, der bewundert und geliebt werden will.

Soweit so gut. Kommen wir mal zu den Punkten, warum ich so hin und her gerissen bin.
Wir begleiten in dieser Geschichte einen namenlosen Protagonisten, dessen Leben nicht dramatischer sein könnte. Die Geschichte ist von Schreibstil so großartig geschrieben, dass ich wirklich in jeder freien Minute meine Nasen drin zu stecken hatte. Der Schreibstil also ein großer Pluspunkt!
Sie ist autofiktional, aber ehrlich gesagt habe ich die ganze Zeit die Fiktion darin gesucht. Dieses Buch ist für mich so realistisch geschrieben, dass ich mir sehr gut vorstellen kann, dass Frédéric hier seine bisherige Lebensgeschichte zu Papier gebracht hat und nur hin und wieder kleine Punkte hinzu- oder umgewandelt hat. Vom Schreibstil wären das volle 5 Sterne geworden.

Und jetzt kommen wir zum großen ABER…
Wie ich schon sagte…das Leben des Protagonisten könnte dramatischer nicht sein. Vom Alkoholabhängigen Vater, in seiner Schulzeit seelisch misshandelt, versucht unser gezeichneter Protagonist in seinem Leben, durch seine Kunst, Anerkennung zu finden. Ein Leben in Saus und Braus gibt es meist aber nicht ohne seine Schattenseiten und genau hier habe ich meine Probleme mit. Bei jeder Langenweile, bei jeder Party, bei jeder Auseinandersetzung wird das Leben entweder mit Kokain, Methamphetamin oder anderen farbigen Pillen ausgeblendet, der eigene Körper betäubt. Mit einer Selbstverständlichkeit und Verherrlichung des Ganzen, dass ich irgendwann nicht mehr wusste, was ich davon halten sollte.

Zitat von Seite 194:

„Auf der Toilette bietet mir eine Kunststudentin eine Pille an. Eine rote Mercedes. Ich sage sofort Ja. Weil ich es aus Prinzip richtig finde,Ja zu sagen. Weil mich die meisten Jas weitergebracht haben. Selbst wenn ich jetzt Lungenkrebs bekäme oder eine Überdosis hätte, ich finde schon, dass mir das Ja zu Drogen eigentlich immer genützt hat. Vor allem habe ich durch Drogen interessante Menschen kennenge-lernt. Nicht alle davon waren gut für mich. Aber sie waren eben interessant.“

Der Protagonist hat immer wieder Angst durch irgendeinen Unfall ums Leben zu kommen, nur die Überdosis wird völlig ignoriert. Es wird auch noch ein weiteres, für mich sehr krasses Thema heruntergespielt, dass ich teilweise echt fassungslos war, aber das würde hier ins endlose ausarten.

Ich weiß nicht, ob ich das alles zu eng sehe, aber ich bin der Meinung, dass man bei solchen Geschichten auch die Konsequenz aufzeigen muss und das ist hier nur in sehr geringen Maße gegeben. Ich finde es gefährlich, wenn junge oder sehr instabile Menschen durch was auch immer zu diesem Buch greifen und zu lesen bekommen, dass Drogen eigentlich die Lösung sämtlicher emotionaler Probleme sein soll.

Ich kann mich mit meiner Moral und meiner Verantwortung, auch als Mutter, hier nicht hinstellen und sagen: „Lest unbedingt dieses großartig geschrieben Buch! Ihr werdet es lieben!“ Wenn der Verlag das kann…gut. Ich kann es einfach nicht, sorry. 

Ich habe lange hin und her überlegt und entschlossen, diesem Buch keine Sternebewertung zu geben. Wenn der oder die eine von euch jetzt total neugierig geworden ist und dieses Buch unbedingt lesen möchte, würde ich mich freuen, wenn der- bzw. diejenige sich im Anschluss mal bei mir melden würde, um sich darüber auszutauschen. 

Toxic Man – Frédéric Schwilden – Piper – Hardcover – 22,00€ – 288 Seiten – ISBN: 978-3492071918 – Erscheinungsdatum: 23.02.2023